Blalla
W. Hallmann: Abrechnung bei der Schlacht am Harmaggedon mit den Piefkes,
Pofkes, Fatzkes, Raffkes, Neppkes und Schmarotskes
1982, Öl auf Bettlaken, 132 x 230 cm |
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Katalogvorwort
zu einer Blalla-Ausstellung
in der Produzentengalerie in Hamburg 1984
Mit geblähtem Segel dem Grauen entfliehen.
Wir sitzen in der
vollgestopften Atelierdachkammer über dem Brühler Kunstverein – seit einem Jahr
Blallas Zuflucht und Werkstatt. Blalla hat Tee gekocht, Albinonis Adagio in
den Kassettenrecorder gesteckt, plaudert nun von seinem Leben; zwischendurch
schieben wir Leinwände hin und her und schaun uns die Bilder an.
Blalla, der hagere Wanderprediger aus den inneren und äußeren Wüstengebieten,
Blalla, der ewige Junggeselle mit der ungebrochenen Sehnsucht nach den Frauen,
Blalla, der Allerletzte, der letzte Maler, der verletzte Verletzer: Er berichtet
vom Horror der fünfziger Jahre, von den Pickeln und der Körperfeindlichkeit,
von Hunger und Sehnsucht nach high life, von den Fesseln der Familienbande,
vom glücklichen Schonraum der Akademie, von Freunden, die er hassen lernte und
Mädchen, die ihn nicht lieben konnten, vom kalifornischen Traum und vom qualvoll
langen Erwachen.
Blalla erzählt lebhaft, mit Wortspielen, bildreich, voller Ironie gegen sich
und die Welt, unterbrochen hie und da von Hohngelächter oder auch blitzschnell
anwachsender Wut: Blalla hat zuviel erlebt, zu sehr die andere Seite gesehen.
Aber er resigniert nicht,ist nicht mehr verzweifelt, er malt.
Blalla malt eine vielfigurige Welt in heftiger Farbigkeit: grell, bunt schillernd
in allen Farben des Regenbogens, aber auch düster, prächtig, heraldisch. Runge
und Ensor, Grünewald und Simone Martini mögen Pate gestanden haben, auch bayerische
Hinterglasmalerei und Votivtafeln, Kirmesbuden und indische Reklameschilder:
Farben von giftig metallischen Insekten oder schwülen Orchideen, Farben von
Icecream, Neonröhren oder kalkig-sterilen Kliniken, die gleißende Prächtigkeit
eitler Ordensbrüste, weißliches Fett, knackiges Rosa, blutiger Purpur, saures
Gelb, bittres Orange, finsteres Schwarz, Ultramarin wie ein Elektroschock.
Sorgsam gemalt sind diese Bildtafeln und sorgfältig komponiert. Symmetrie herrscht
vor, rankt sich empor wie in den Märchenillustrationen des Clemens Brentano,
wie dort auch die Liebe zum Detail, der ornamentale Rhythmus. Figur reiht sich
an Figur, je nach ihrer Bedeutung ins Überdimensionale aufgeblasen oder ins
Winzige verkleinert. Auch dies der Ordnung mittelalterlicher Bild- und Symbolsysteme
entliehen.
"Alles ist Form," sagt Blalla, Tee schlürfend, "der Inhalt ist austauschbar."
"Wirklich?"
Nein, natürlich leben diese Bilder auch aus ihrem Inhalt. Darauf verweisen schon
die in die Malfläche eingewobenen Texte, lange Spruchbänder mit barocken Bildtiteln
und ironisch verfremdenden Kommentaren, Hinweise auf die verschiedenen Stile
zum Beispiel: Mal narr-aktiver Stil, mal mexikanischer Revolutionsstil, mal
"sogenannter äußerst ästhetischer indianisch-manischer Schizostil, äußerst geschmacklos".
Die zitierten Stile bleiben aber immer Blalla.
Bisweilen sind auch Figuren zur Verdeutlichung beschriftet: Nerval und Vincent,
Seraphine und Artaud, Poe und Lenz. Das Kaleidoskop der Ahnen beschwört Bilderflut
und Wahnsinn, Erzählfreude und Phantastik, Ornament und Leidenschaft, Blasphemie
und Obszönität.
In der Tat sind das alles recht abnorme Ikonen, mit dem Schwanz gemalte Lästerungen,
nichts für verklemmte Seelchen. Kirche und Kommerz wetteifern im Kacken und
Wichsen – da bleibt keine der hohen, hohlen Tugenden verschont, da verspritzt
Miss Babylon den rubinroten Tropfenregen ihrer Regel, Mann bescheißt sich und
frißt Scheiße, und selbst die fromme Helene spendet die Satisfaction sehr direkt.
Das Comic-Theater gerät zur apokalyptischen Höllenfahrt und im Himmel sind die
Teufel losgelassen; Kriegsraserei, Mordlust, Quälsucht und Terror toben sich
aus in bunter Prozession auf dem "Leutfresser-Weg".
Eine böse, geile, brutale und blinde Welt ist das, deren leuchtende Farbenpracht
in schrillem Kontrast zu ihrer Ausweglosigkeit steht.
"Es gibt keine natürliche Verbindung unter den Denkenden, sagt der Epikur",
murmelt Blalla vor sich hin – und hätte es doch so gerne anders. - Blalla der
Verletzte, Blalla der Muttergeschädigte, Blalla in einer Welt, wo die reichen
Herren im Frack sich gegenseitig bedienen. Blalla der Bediente, Blalla der komplizierte
Einzelgänger.
Aber er ist ja nicht der Einzige und Allerletzte. Blalla ist einer der Ersten.
So wie der Sendermann in Berlin ein Erster war, als er es im Kopf nicht mehr
aushielt. Und Blalla ist nicht mehr nur Einstecker, Blalla ist Maler und Austeiler,
ist Ent-täuschter, ist Rächer. Blalla rechnet auf seine Weise ab mit der Wegwerfgesellschaft.
Er läßt sich nicht mehr am Kopf operieren. Auf seinen Bildern sind die Narren
und Kinder nicht blind, aber sie sind gefesselt und werden gequält. Blalla leidet
da mit, er ruft auf zur "letzten Solidarisierung in der Traurigkeit".
Blalla wehrt sich mit seinem Schwanz-Pinsel gegen Bigotterie und Ausbeutung.
So raste einst der Marquis in den Tagen von Sodom gegen sich und seine verfaulende
Klasse, aber bei Blalla wird das nicht so tierisch ernst, lugt an vielen Stellen
Humor durch. Er läßt sich nicht mehr abspeisen mit Propaganda und Acid, sondern
gräbt in den Verliesen des Vatikan die 28 verbotenen Evangelien aus.
In den letzten Monaten hat er wie ein Besessener gemalt, um "mit geblähtem Segel
dem Grauen zu entfliehen". Wo jetzt viele von der Wende sprechen und sich anschicken,
zur Überwinterung von Orwells Jahrzehnt in die muffig-warmen Ärsche der guten
alten Zeit zu kriechen, reißt Blalla den Grauschleier der Beschwichtigungen
und verlogenen Illusionen weg.
Ganz und gar nicht schmeichelhaft für uns sind seine Vexierbilder, aber wie
er sie gemalt hat, das ist erfrischend, stark, umwerfend menschlich und sehr
lebendig.
Albinoni's Adagio
ist zum dritten Mal zu Ende, der Tee ist kalt geworden.
Jetzt trinken wir einen Schnaps und dann müssen wir uns die Bilder unbedingt
nochmal anschauen.
Michael Zepter, 1984