Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Sie haben sich die Ausstellung sicher schon ein bisschen angesehen und einen eigenen Zugang zu den Bildern und Objekten von Willi Frommberger gefunden, viele von Ihnen werden ihn und sein Werk auch schon länger kennen. Nun habe ich die Ehre, im Rahmen der Eröffnung dem noch etwas hinzuzufügen und das mache ich gerne. Zu seinem reichen Oevre fällt einem als aufmerksamer, langjähriger Beobachter immer wieder etwas Neues ein. Als ich vor kurzem sein Atelier besucht habe, dachte ich spontan: Wie frisch und lebendig ist das alles und wie selbstverständlich!
Und weil Ihnen das möglicherweise genau so geht, will ich auch garnicht den Versuch machen, jede einzelne Arbeit zu erklären, sondern unter dem Eindruck der Bilder und Objekte hier an den Wänden über einige Aspekte sprechen, die mir interessant scheinen und die Ihnen vielleicht als Werkzeuge für ihre eigenen Interpretationen brauchbar werden könnten.
Es sind 5 Begriffe, die ich mir herausgesucht habe:
Die Farbe,
Formen und Gesten,
Orte und Zeiten.
Sie bemerken: 4 Wörter stehen im Plural, nur das Wort ‘Farbe’ im Singular. Dieser Griff ist bei einem malerischen Werk natürlich unangebracht, wenn man an die immaterielle Seite, das Reich der durch Licht gezeugten Farbtöne und deren vielfältige Brechungen und Abstufungen denkt. Das alles ist hier in subtiler Weise vorhanden. In diesem Sinn ist Frommberger ganz Maler. Aber es gibt in seinem Werk eben auch die materielle Seite der Farbe und nicht von ungefähr heißt der Titel dieser Ausstellung: “Aus Kölner Erde” und nicht “Aus Kölner Erden” – letzteres hätte, wie Sie gleich erfahren werden, durchaus auch eine gewisse Berechtigung.
Johann Wolfgang von Goethe hat in seiner Farbenlehre beide Aspekte der Farbe gewürdigt: den prismatischen Aspekt der reinen, aus dem Licht der Sonne geborenen physikalischen Farbe und dem chemisch-materiellen Aspekt der Färberei, die damals, wie Goethe feststellte, zwar einen reichen Erfahrungsschatz, aber keine übergreifende Theorie kannte.
Wir leben heute ganz selbstverständlich in einem Meer von künstlichem Licht und künstlichen Farben, ohne dass wir uns darüber in der Regel viele Gedanken machen. Sie sind einfach da, diese Millionen von leuchtenden Farbtönen und an unserem Computer können wir mit ihnen spielen, ohne die dahinter liegende Physik zu verstehen. Wie früher die Färber mit den Küpen, so matschen wir heute mit elektronischen Farben herum. Die Theorie dazu haben sich andere ausgedacht. Aber diese Farben aus Licht sind anders als die materiellen Farben, sie sind clean, präzise, kalt, von makeloser Klarheit. In ihrer Struktur reduzieren sie sich auf Skalen binärer Zahlen, ohne dass wir das ‘sehen’ können. Sie basieren auf der Physik des Lichts. Materielle Farben basieren auf Chemie, ihre Struktur ist abhängig vom molekularen Aufbau der Materie, molekularen Ketten, Kristallen, Chaosformen, also entsprechend reich. Im Computer müssen wir diesen Reichtum simulieren.
Neulich befragte ich eine Malerin zu einer von ihr erstellten Computergrafik. Ich wollte wissen, wie sie die wirbelnde Schraffur erzeugt habe, die die ganze Fläche strukturierte. “Habe Sie das alles mit der Maus gezeichnet?”, erkundigte ich mich voller Ehrfurcht vor der manuellen Leistung. “Nein, da gibt es in meinem Malprogramm einen Fellfilter!”, war die Antwort.
Dass es einmal eine Zeit gab, da man über eine einzige Farbe ein ganzes Buch geschrieben hat, kommt dem Normalverbraucher von heute vielleicht ein bisschen komisch vor. Willi Frommberger hat so ein Buch für sich entdeckt. Es war 1771 in Köln erschienen, geschrieben von einem gewissen Johann Wilhelm Carl Adolph Freiherr von Hüpsch (1730 - 1850) und trug den schönen barocken Titel: “Neue Entdeckung des wahren Ursprungs des Cöllnischen Umbers oder Cöllnischen Erde.”
Dass dieser Freiherr kein echter war, sonder ein selbst erfundener und im übrigen ein recht skurriler, bunter Vogel, soll uns hier weniger interessieren; mehr vielleicht, dass er ein leidenschaftlicher Sammler von Wunderlichem, Kuriosem, Phantastischem, Exotischem und Merkwürdigem war, stolzer Besitzer einer Wunderkammer, zu der die Zeitgenossen pilgerten. Die ‘Cöllnische Erde’, über die er sich ausließ, war nichts anderes als unsere heimische Braunkohle, aus der man damals eine Farbe gewann, nämlich ‘Umber’ bevor man sie später in großem Stil als Energielieferant ausbeutete. Umber kommt vom lateinischen ‘Umbra’ = Schatten (Sie kennen den Ausdruck vielleicht von der italienischen Provinz Umbrien, die waldreich und deshalb schattig war).
Willi Frommberger hat sich diese alten Techniken der Farberzeugung aus dem Material der Braunkohle angeeignet: Wie man die Bistertinte herstellt vom leuchtenden Hellbraun bis zum satten tiefen Braunschwarz, wie man geriebene Braunkohle als feinkörniges Pigment verwendet und wie man daraus mit Dammarharz, Leinöl und Bienenwachs eine pastose Ölfarbe anreibt. Auch die vom Freiherrn von Hüpsch erwähnte Methode, die Umbrafarbe durch Zusatz anderer Erden zu variieren, hat er ausprobiert und sie so z. B. ins Rötliche durch Zusatz von Eisenoxyd aus dem über der Braunkohle lagernden Ortstein oder ins Grünliche durch Zugabe von gelbem Löss abgewandelt. Auch dies sind ‘Kölner Erden’ und durch Frommbergers forschende Kunst bekommen wir so ein ganz neues Verhältnis zur Farbigkeit unserer Landschaft.
Aber warum arbeitet ein Künstler unserer Zeit in solch abgelegenen Gebieten? Frommberger steht als Spurensucher nach verschollenen Künsten und Kulturen nicht allein. Nikolaus Lang sammelte farbige Ocker in der Toskana, Wolfgang Laib entdeckte die Schönheit von reinem Blütenstaub auf den Bergwiesen des Himalaja, Mario Reis schuf ‘Naturaquarelle’, indem er Leinwände in den Flüssen der Welt durch deren Sinkstoffe färben ließ und so höchst unterschiedliche visuelle Protokolle ihrer natürlichen und umweltbedingten Situationen erzeugte. Das sind nur einige Beispiele. Die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, nach den Wurzeln unserer Kultur lässt sich seit der Romantik als wichtige Tendenz der Moderne feststellen. Sie verbindet sich bei den Künstlern der sog. Spurensuche (seit etwa Mitte der 1970er Jahre) mit Wissenschaften wie Archäologie, Paläontologie, Geologie oder Botanik. Dies geschieht durchaus in Fortentwicklung der Ideen von Goethe, also in einer Synthese von Theorie und Praxis, von wissenschaftlicher Genauigkeit und intuitiver Suche nach Schönheit. Derartige Synthesen werden heute zwar überall gefordert, in der Praxis des Alltags scheitern sie aber meistens, und zwar vor allem dort, wo sie Zusammenarbeit zwischen Vertretern unterschiedlicher Disziplinen (also grenzüberschreitende Teamarbeit) erfordern. Sie scheitern an den Eitelkeiten der Personen, an der Unfähigkeit, über den eigenen Horizont zu blicken und dem Spezialisierungszwang der Wissenschaft. Dem Künstler aber gelingt das überzeugender, indem er – als einzelner, zwangsläufig dilettierender Universalgelehrter – den Mut zur Synthese wagt. Die daraus entstandenen Bilder und Objekte sind also immer auch – um mit Schiller zu sprechen – sentimentalische Manifestationen unserer Sehnsüchte nach einer geschlossenen und harmonischen Welt, in der die Gegensätze sich versöhnen.
“Was hätte auch eine unscheinbare Blume, eine Quelle, ein bemooster Stein, das Gezwitscher der Vögel, das Summen der Bienen u.s.w. für sich selbst so Gefälliges für uns?”, fragt Schiller sich in seinem Aufsatz ‘über naive und sentimentalische Dichtung’. “Es sind nicht diese Gegenstände”, fährt er fort, “es ist eine durch sie dargestellte Idee, was wir in ihnen lieben. Wir lieben in ihnen das stille schaffende Leben, das ruhige Wirken aus sich selbst, das Dasein nach eigenen Gesetzen, die innere Notwendigkeit, die ewige Einheit mit sich selbst.” Diese Empfindungen wirken als ferner Nachhall immer noch in uns fort, auch wenn wir uns bewusst nüchtern und abgeklärt geben.
Schiller empfand den Verlust dieser ursprünglichen, naiven Welt (deren Verkörperung er in der griechischen Antike sah) sehr heftig, inzwischen hat sich seine Vision verdeutlicht. Es ist kein Zufall, dass die Kunstrichtung der ‘Spurensicherung’ zu einem Zeitpunkt begann, als die Thesen des ‘Club of Rome’ uns die fortschreitende Zerstörung unseres Planeten erneut und radikal verschärft vor Augen führten. Ohnmächtig beobachten wir diese Prozesse und haben doch kein Mittel, die wachsende Kluft zwischen Natur und Zivilisation zu überbrücken, die Welt zu heilen.
Diese Hinweise mögen genügen, um den Hintergrund der Arbeit von Frommberger zu skizzieren. Seine Bilder sind sicher keine Pillen zur schnellen Heilung, aber sie sind so etwas wie Wegweiser. Sie öffnen den Blick auf die Quellen unserer Kultur und die Schönheit der Natur. Sie, die Natur ist selbst im Unscheinbaren und im Vergehen schön, weil sie geordnet ist.
Auf vielerlei Weise kann man Dinge färben oder bemalen. Man kann sie in Tinten oder Färbeküpen tauchen, sie mit Farbe begießen oder besprühen, sie bespritzen oder beschmieren, mit Farbpulver bestreichen oder bestäuben, mit färbenden Erdbrocken Spuren auf ihnen zeichnen oder angeteigtes Farbmaterial mit Hilfsmitteln wie Pinseln, Stiften oder Spachteln auftragen.
In diesen Maltechniken ist eine lange Geschichte der Arbeit aufgehoben – ursprünglich von der menschlichen Hand und ihren Gesten geprägt, haben sie allmählich eine Entwicklung zum Maschinellen und Automatischen erfahren. Das ist im Grunde eine faszinierende Geschichte. Niemand, der einmal neben einem modernen Webstuhl oder einer Rotationsdruckmaschine gestanden hat, wird sich dieser Faszination entziehen können. Doch was ist da eigentlich geschehen? Kluge Erfinder und Konstrukteure haben die im Laufe der Jahrhunderte entwickelten Handhabungen, Griffe und Arbeitsgesten der Menschen erfasst, analysiert und in maschinelle Prozesse umgewandelt. Alles greift lückenlos, präzise und rasend schnell ineinander. Die Produkte dieser Arbeit sind perfekt und endlos reproduzierbar. Sie kennen diese Geschichte und ihre Folgen, ich brauche sie hier nicht weiter zu vertiefen.
Sprechen wir über die Verluste. Ich werde nie vergessen, wie vor Jahren einmal ein befreundeter Bauer im Tischgespräch über moderne Landwirtschaft nach längerem, schweigendem Zuhören seine schwielenbedeckten Hände vorzeigte und erregt fragte: “Aber Arbeit muss doch ihren Wert haben?” In dieser Geste lag viel: Die Erinnerung an lebenslange Plackerei ebenso wie der bäuerliche Stolz auf die eigene Leistung. Ein Bergarbeiter im Kohlenpott wird sich vielleicht ähnlich ausdrücken.
“Die Arbeit hat ihren Wert? Hat sie nicht, hat sie längst verloren, die Maschine macht das heute besser, schneller und ökonomischer!” So wird ein moderner Zyniker vielleicht antworten. Und wir geben ihm in unserem Konsum- und Kaufverhalten recht. Vielleicht sind die Brötchen einer Backkette ja wirklich besser als beim Bäcker: knuspriger, geschmacksverstärkt, vor allem billiger. Und wozu ein teures Bild von der Hand eines Künstlers kaufen, Poster und Drucke tun es doch auch. In der Tat ist die Kunst eine zeitlang diesen Weg gegangen und auch heute noch können die Stars der Szene die weltweite Sammlernachfrage nur am Fließband befriedigen.
Auf diese Situation reagiert die Kunst heute in zweierlei Weise. Einerseits greift sie die Angebote der Technik auf, arbeitet ganz selbstverständlich mit den modernen Medien wie Fotografie und Computerdruck; auch Frommberger nutzt das, doch mehr als Dokumentations- und Hilfsmittel. Andererseits bezieht sie sich auch wieder ganz bewusst auf ihre Wurzeln. Dies aber nicht – wie bei den Romantikern – in sehnsuchtsvoller Hingabe, sondern im nüchternen Blick auf Dinge und Tatsachen. Der lange Weg der Moderne hin zur Entmystifizierung, Abstraktion und Ästhetisierung ist nicht vergessen, er prägt auch die Generation der Postmoderne. Wenn Frommberger also – wie in einer der hier ausgestellten Zeichenserien – ‘das Reich des Schamanen’ zitiert, so ist er sich bewusst, dass ihm die Geheimnisse dieses Reiches im Wesentlichen verborgen bleiben. Aus dieser Welt sind wir herausgefallen. Wir leben nicht mehr in der Rad-Zeit, wie Vilém Flusser konstatiert, auch nicht mehr in der Fluss-Zeit mit klarem Anfang und Ende, sondern in der Sand-Zeit, also in einer Zeit der Myriaden vereinzelter Zeiteinheiten, deren Bewegungen und Zusammenballungen zufällig sind und die wir nicht mehr verstehen. An dieser Einsicht kommen wir nicht vorbei und Esoterik, die so tut, als könne man zurück in den Mutterschoß, ist wohl ein Irrweg. Wir alle eilen nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik der Entropie entgegen; diesen Wärmetod werden wir nicht dadurch verzögern, indem wir uns Illusionen machen. Der Sandhaufen aber, so sagt Flusser, ist der Spielplatz der Kunst. “Kunst ist das absichtliche Herstellen von unwahrscheinlichen Klumpen im zerrinnenden Haufen.”
Frommberger sucht also mit prüfendem Künstlerauge nach den in der naturnahen Kultur verborgenen Strukturen von Zeit und Raum, um mit ihnen zu spielen. Es ist die uralte Suche der Kunst nach Ästhetik, nach der schönen Form. Er betrachtet die Zeichen an der Wand, beobachtet die Gestensprache des Schamanen, vergleicht sie mit der des Künstlers und findet Verwandtschaft. So wie die Moderne sich in der L’Art Brût und in der Kinderzeichnung wiederfand. Schon Corrado Ricci, der mit seinem Buch L’Arte dei Bambini 1887 die erste Untersuchung zur Kunst der Kinder vorlegte, glaubte formale Ähnlichkeiten zwischen der Kinderzeichnung und den Ritzzeichnungen der Eskimos festzustellen. Harold Cohen hat über das Formen-Repertoire des elementaren Zeichnens ein Computer-Programm erstellt, das fähig war, selbständig monumentale Zeichnungen zu erstellen, die an diese frühen Stufen des Zeichnens erinnerten – zu sehen auf der Documenta VI. Cohen sagte dazu:
“Die Tatsache, dass der Computer »ich« sagt, bedeutet nicht, dass er von seiner Existenz weiß. Die Tatsache, dass er Zeichnungen macht, die denen von Menschenhand sehr ähnlich sind, bedeutet nicht, dass er weiß, wie es in der Welt aussieht. Es handelt sich um eine Maschine.
Trotzdem sind Maschinen nicht mehr das, was sie waren, und dieser Computer ist nicht programmiert, Zeichnungen nachzuzeichnen, die im voraus hergestellt wurden und mit denen er dann »gefüttert« wird. Es gibt keine im Computer gespeicherten Zeichnungen. Das Programm in diesem Computer umfasst eher einen umfangreichen Satz von Regeln, die die Bestimmungen und Charakteristika von Zeichnungen zusammenfassen. Dasselbe Programm kontrolliert das kleine Gerät auf Rädern, das die Zeichnung macht: und ebenso die Synthesizer-Stimme, die unter anderem - »ich« sagt. Die Zeichnung, die entsteht, ist ein einmaliges Ergebnis - es wiederholt sich nicht - und alle Zeichnungen werden durch dasselbe Programm entwickelt, das unverändert und ohne menschliches Eingreifen läuft.”
Ein Stück in Richtung KI (= künstliche Intelligenz) sind die Künstler also mit gegangen. Sie haben auf diesem Weg zu sich selbst zurückgefunden, zur Freiheit und zum Reichtum menschlicher Intelligenz, menschlicher Empfindungen und menschlicher Schöpferkraft.
Frommberger ging den anderen Weg und dies sehr konsequent und gradlinig. Die Ölbilder der letzen Jahre hier in diesem Raum – ausschließlich mit Kölner Erden gemalt – verweisen in ihrer konstruktiven Kraft auf den Anfang seiner künstlerischen Laufbahn. 1962 erforschte er im Rahmen seiner Staatsarbeit an der Düsseldorfer Kunstakademie die Tektonik von Steinbrüchen. Er ließ sich damals von Paul Cézanne inspirieren, baute seine Bildkompositionen aber nicht allein aus den Bausteinen kubischer Pinselflecke, sondern ergänzte seine konstruktiven Erkundungen durch die Erforschung der Erdgeschichte, ihren tektonischen Bewegungen, Eruptionen, Sedimentationen und Erosionen. Er erweiterte somit die Ästhetik um den Bereich der Naturgeschichte, der ‘histoire naturelle’. Hier spüren wir eine Nähe zu Max Ernst, dem großen Magier und Kunsterfinder, mit dessen Werk sich Frommberger seit langem verbunden fühlt. Die Einschnitte seiner Bildobjekte sind z. B. inspiriert von Brüchen und Verwerfungslinien in den Sedimentationen der heimischen Braunkohle. Mich selbst erinnern sie darüber hinaus an Schnittstellen in Torfstichen, an die Torfgruben, in denen wir als Kinder so gerne spielten, vor allem, wenn sie noch frisch und matschig waren.
Frommbergers Arbeit basiert also auf genauer Beobachtung und Nachahmung. So stellte er zum Beispiel beim Betrachten von Malereien der Steinzeit fest, dass seine urzeitlichen Kollegen die Kratzspuren der Höhlenbären an den Wänden zur Strukturierung der Felle ihrer Jagdtiere benutzt hatten. (Also, wenn sie so wollen, hatten schon die Steinzeitkünstler einen ‘Fellfilter’ angewendet). So etwas entdeckt nur ein Künstler. Denn er ist ein Praktiker. Er beobachtet und fragt nach Verwertbarkeit. Zeit- und Raumgrenzen spielen dabei kaum eine Rolle. Der steinzeitliche Schamane ist Kollege, von dem man etwas lernen kann. Wie hat er das gemacht? Wie könnte ich selbst eine ähnliche Wirkung erzielen. So befragen Kinder die Welt und so arbeitet der Künstler. Frommberger greift zum Reisigbesen und schlägt auf den weichen Malgrund ein. So erreicht er eine Objektivität der Struktur, die fremd und vertraut ist zugleich. (‘Gezeichnet’ wäre nur vertraut, ‘Fellfilter’ aus dem Computer nur fremdbestimmt). Im Verlauf seines Künstlerlebens hat Frommberger sich immer wieder derartigen Erfahrungen ausgesetzt und so allmählich ein reiches Repertoire gewonnen. Zum bauend Konstruktiven und zum Handwerklich-Technischen kam dabei von Anfang an auch die individuelle zeichnerisch-malerische Geste, ja sie hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Auch das Zeichnen beinhaltet ja Funktionen der Hand, deren Spuren nicht nur auf Körperrhythmen und auf konventionell Erlerntem beruhen (wie z. B. auf dem Schreiben oder der Naturzeichnung), sondern auch auf dem Freisetzen und Erfindung neuer Bewegungen. So wie die Stimme unabhängig von Sprache oder Gesang eine unglaubliche Fülle von Geräuschen erzeugen kann, so sind auch die Erfindungen der Hand unendlich in ihren Möglichkeiten. Es entstehen neue, noch unbekannte Zeichen, die sich im Ästhetischen genügen und doch potenzielle Deutbarkeit offen lassen. Bei Frommbergers Zeichnen mischt sich Bedächtigkeit mit freier, fast tänzerischer Gestik, eine Form spontaner Kontemplation. Man könnte von ZEN-Buddhismus sprechen, aber ohne dessen Orientierung an vorgegebenen, gültigen Mustern. Frommbergers Pinselschrift bleibt immer individuell, erhält sich Brüche und Zufälligkeiten, ohne sie zum Ornament werden zu lassen. Gestaltungswille korreliert mit Probehandlungen und informellem Loslassen. Diese Balance erhält den Arbeiten ihre Frische und Authentizität.
Sie werden sich vielleicht fragen, warum ich angesichts dieser Arbeiten so relativ ausführlich über Computer, Programme und Automation gesprochen habe. Doch auch wenn sich Frommberger nicht ausdrücklich auf das alles bezieht, ja, seine Arbeit eher weit entfernt davon zu stehen scheint, so ist sie doch ohne diese Folie, diesen Hintergrund undenkbar. In vielerlei Hinsicht und sehr entschieden, wie ich meine, bezieht sie sich auf die technische Welt, deren Sieg uns so unabwendbar und total erscheint.
Denn jede dieser Arbeiten verweist uns nachdrücklich auf die Geschichte unserer Kultur. Ohne diese unsere Wurzeln sind wir verloren – um zu be-greifen, brauchen wir auch heute noch unsere Hände. “Ich denke sowieso mit dem Knie”, hat der Schamane Joseph Beuys einmal gesagt und mit diesem schönen und weisen Wort möchte ich schließen.
Sie können hier in dieser Ausstellung nur einen kleinen Ausschnitt aus den vielfältigen Untersuchungen und Projekten von Willi Frommbergers Arbeit sehen. An den Rändern ergibt sich dennoch eine Fülle von Hinweisen: in den schönen Katalogen (den Katalog TERTIÄR gibt es diesmal auch in Vorzugsausgabe mit einem Originalblatt aus der Serie der Pinselzeichen, auf diese Gelegenheit will ich Sie besonders hinweisen), in den Schaukästen mit Hinweis auf Frommbergers künstlerische Sammeltätigkeit, in den Vortragsabenden im Rahmen der Ausstellung, um nur einiges zu erwähnen. Es gibt auch einen Film, der Frommbergers Arbeitsprozesse zeigt. Das alles sind schöne Ergänzungen, die aber nicht unbedingt nötig sind. Die ausgewählten Arbeiten an den Wänden geben in ihrer ruhigen Kraft und tonigen Schönheit genügend Nahrung für die Sinne. Jedes einzelne Objekt ist ein kleiner Mikrokosmos, in dem sich der Makrokosmos eines reichen Künstlerlebens verdichtet. Es ist wie Zauberei, aber es ist nur Kunst. Lassen Sie sich verzaubern!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit
Michael Cornelius Zepter, Köln im Juni 2005