Brief an einen toten Freund — Erinnerung an Fritz Hans Lauten

Michael Zepter
12. August 1989

"Ich war sehr krank, und weil es mit meinem Herzen schlimm steht, könnte ich ganz plötzlich sterben, doch kann es auch sein, daß ich noch zehn Jahre lebe. "Als Kurt Schwitters das im Dezember 47 an seinen Sohn schrieb, blieb ihm gerade noch ein Monat Zeit.
Wie lange hast Du dich mit deinem kranken Herzen herumgeschlagen, lieber Fritz
zuletzt hat dich ein Schrittmacher bis in deine Träume verfolgt. Vielleicht war es das Diktat dieser unerbittlichen Rhythmusmaschine, das Dir am Ende den Mut zum Leben raubte - wer weiß das schon. Fassungslos standen wir Freunde an deinem Grab, fanden manch mögliche Erklärung, weshalb ein Künstler heute mit 53 Jahren den Freitod sucht und blieben doch ratlos am Ende.
Du hast stets das Dramatische geliebt, das Theater der Gesten und den flüchtigen Prunk der Bühne, ganz besonders dein Idol Marilyn Monroe, deren Bild durch viele deiner Arbeiten geistert. Einen Tag nach ihrem fünfundsechzigsten Geburtstag bist Du ihr nachgefolgt. War das Fügung, Intuition, Inszenierung?
Manchmal haben wir zusammen die Platten von Billie Holiday und Lester Young gehört
meist die späten Aufnahmen, bei denen die klagende Stimme der Lady und das brüchige, melancholische Horn von Pres schon die zerstörerischen Folgen des Alkohol verrieten. Im Gegensatz zu mir zogst Du diese Stücke den kraftvoll swingenden der Basie-Zeit vor. "Ich weiß, sie sind vielleicht musikalisch nur noch ein Abglanz, aber sie sind trotzdem) wunderbar, herzergreifend," so ähnlich hast Du dich damals ausgedrückt. Ja,
ja das Herz, lieber Fritz!
"Baby-Bird, ich komme mir vor wie eine Zweidollarhure, die auf ihren Kunden wartet," soll der alte Lester einmal zu Charlie Parker vor einem Auftritt gesagt haben
bitteres Resümee eines sensiblen Künstlers in einer auf oberflächlichen Genuß ausgerichteten Gesellschaft. War es so ein Gedanke, der dir die Verzweiflung ins Herz schwemmte, dich in den schmutzigen Rhein trieb?
Bei uns im Hinterhof hängt ein Objektbild von dir aus dem Jahr 1976
"Tod eines Handlungsreisenden (sehr frei nach Arthur Miller)" eine verwitterte Aktentasche, ein von der Wucht des Unfalls zerfetztes Kennzeichen und ein paar verrostete Eisenstücke, montiert auf ein im Alterungsprozeß vergreistes Brett. Die Assoziationen sind deutlich, aber selber warst Du nie der Typ eines Handlungsreisenden, auch wenn Du als Leiter einer Glaswerkstatt viel zu viel mit Geldgeschäften zu tun hattest. All das war dir von Herzen zuwider und auch darunter hast Du gelitten.

Fritz Lauten . Tod eines Handlungsreisenden

Die kraftvollen Montagen aus Fundstücken bilden die eine Seite deiner Kunst. Nur von Wenigen beachtet, verwittern viele von ihnen heute am Kürtener Haus und in dem Wäldchen drumherum, zusammen mit Skulpturen und Objektbildern befreundeter Künstler, welche sich im Lauf der Zeit in dieses Ambiente integrierten.
Einmal habe ich Dir aus dem Wattenmeer von Texel den Rest eines verrotteten Fahrradgestells mitgebracht. "Du kannst was Besseres draus machen als ich," hab ich zu Dir gesagt. Einige Zeit später hast Du es dann auf Samtkissen im Glasgehäus als "Große Potenz" im Rahmen der Ausstellung "Der röhrende Hirsch" präsentiert. Ich muß gestehen, daß ich ziemlich verblüfft war
nicht zuletzt über den sicheren Blick, mit dem Du das Ding in der einzig richtigen Position in Szene gesetzt hattest.
Die andere, erfolgreiche und mit vielen Auszeichnungen bedachte Seite eines Werks war die Glasmalerei. Neben den großen Aufträgen für kirchliche und profane Räume hast Du immer wieder prachtvolle Bilder und Objekte aus Glas geschaffen. Auch hier tauchen bisweilen kleine Fundstücke auf, aber in diesem Kontext verwandelt, sozusagen "verklärt"
und doch immer auch als widerborstige Störungen. Überhaupt war dein Domizil im Kürtener Wäldchen auf magische Weise ein Reich aus Glas, das die grüne Natur wie die gesammelten, überall wie achtlos verstreuten Dinge aus Kunst und Kultur durch die unglaublichsten Durchblicke, Einfärbungen, Verzerrungen und Spiegelungen verzauberte.
Deinen Sinn für poetische Inszenierung konntest Du vor allem in Deinen "Kürten-Fästiwels" ausleben. Die Geschichte dieser sehr kölschen Ableger von "Happening & Fluxus"
in ihren gelungensten Beispielen wahre Gesamtkunstwerke wäre erst noch zu schreiben. Für Viele junge Musiker, Kabarettisten, Aktionskünstler oder Objektemacher boten sie ein erstes Forum, um vor einem fröhlichen und aufgeschlossenen Publikum ihre Ideen zu erproben. Aber auch manch Arrivierten lockte die besondere Atmosphäre, der freie, lockere Rahmen inmitten der bergischen Landschaft. Fast verbietet es sich, einzelne Namen zu nennen, doch möchte ich wenigstens an ein paar Höhepunkte erinnern: als Ingfried Hoffmann wie besessen sein Orgelbrett bearbeitete, der schwarze Bluessänger Rick Abao den Kindern die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen erzählte, Winfried Tertin mit seinen buntglitzernden Objektsegeln oder Victoria Bell mit mächtigen Holzskulpturen den Wald verwandelten, Rolf Hinterecker und die Gruppe Jet Ferro in Steinbruch und Sülztal ein feuriges "Hollywood in Kürten" inszenierten. Unvergessen auch die bunten Speisen und die Farbprozession durch die Felder von Antoni Miralda. Auch mich hast Du inspiriert, einmal eine Performance zu wagen das "Frühlingsritual" mit Johanna Frommberger als "Daphne"; alles war wunderschön bis auf die Tatsache, daß es bitterkalt nieselte, was ja leider im bergischen Frühling nichts Ungewöhnliches ist.
Jetzt sind wir verwaist und können nur mit Ingo Kümmel Jean Arps trauriges Lamento anstimmen: "Weh, weh unser armer Kaspar ist tot..." Wie viele hast Du beschenkt, wie vielen hast Du geholfen und alle haben wir das dankbar, aber viel zu selbstverständlich angenommen. Zum Schluß, im entscheidenden Augenblick, warst Du allein. Alle Erklärungen helfen da wenig weiter. Vielleicht sollten wir Zurückgebliebenen besser überlegen, wie wir in Zukunft unsere Feste feiern werden.
Leb wohl, lieber Fritz, ich wünsche Dir "ewiges Licht",

Dein Michael Z.