Geschäftswelt legt den Anzug ab (Donnerstag 16. November 2000, 08:24 Uhr)

New York/Hamburg (dpa) - Die typische Mischung aus Wolkenkratzern und klassizistischen Gebäuden ist seit Jahrzehnten die gleiche. Auch das Gewimmel an Wochentagen und die Ruhe am Sonntag. Eins fehlt jedoch seit einiger Zeit an der New Yorker Wall Street in zunehmendem Maße: die dichte Konzentration von Nadelstreifen und anderen dunklen Anzügen, die so viele Jahre modisches Merkmal internationaler Finanzplätze war.

Das «Dressing Down» ist in vollem Gange. Galt es zunächst nur für den Freitag, den «Casual Friday», ist nun oft auch an anderen Tagen ein legerer Look angesagt. Broker, Investmentbanker und Wirtschaftsanwälte tragen Kaschmirpullis, Polohemden und Khaki- Hosen und nur noch selten den klassischen Zwirn mit hellem Hemd und Krawatte.

Einer Palastrevolution kommt diese Änderung des Dresscodes gleich - so spektakulär, dass sich sogar ansonsten staubtrockene Fachzeitungen wie die Juristenbibel «National Law Journal» oder das etwas buntere Blatt «New York Lawyer» damit befassen. Umfragen des «National Law Journal» unter amerikanischen Wirtschaftskanzleien zufolge hat Casualwear inzwischen die Oberhand gewonnenen. Die meisten Sozietäten gestatten zumindest den «Casual Friday», und in Städten wie New York und Washington dürfen viele Anwälte sogar jeden Tag im informellen Outfit zur Arbeit gehen.

Verantwortlich zeichnet wohl der «Casual Summer» - in den vergangenen Jahren tendierte man zunehmend zu luftigerer Kleidung an heißen Tagen. Schon vor drei Jahren «verlängerte» sich dann in einigen Firmen in Kalifornien der «Casual Summer» bis in den Winter, galt schließlich fürs ganze Jahr. «Wirklich ausschlaggebend war der Zeitpunkt, als die Investmentbanken mitmachten», wird im «National Law Journal» ein Anwalt aus Chicago zitiert. Einzig der Staat Ohio scheint noch dem Trend zu widerstehen - hier gilt nach wie vor in vielen Firmen Anzugszwang.

Viele jüngere Männer glauben dank bequemerer Kleidung effektiver arbeiten zu können. Allerdings soll «locker» nicht mit «schlampig» gleichgesetzt werden: Turnschuhe, Jeans und Sweatshirts beispielsweise sind nach wie vor meistens tabu. Für die Bekleidungsfirmen tut sich eine Marktlücke auf - legere Kleidung wird zum Renner. Furore macht etwa seit einigen Wochen eine breitangelegte Anzeigenkampagne der Kette «Banana Republic»: Unter der Überschrift «Work» werden smarte Models im Büro-Ambiente gezeigt - mit lässigen Hemden, edlen Rollkragenpullovern oder Flanellhosen mit elastischem Stretch-Anteil. Gepflegtes Casual also.

Ob die Casual-Welle auch nach Deutschland schwappt, bleibt die Frage. Schließlich setzen die internationalen Laufstege zur Zeit ganz andere Zeichen - hier gibt es bei der Herrenmode eine Hinwendung zur so genannten Neuen Eleganz mit schneidermäßigen Anzügen, Blazermänteln und superfeinen Oberhemden. Beim Mönchengladbacher Bekleidungshersteller Van Laack, bekannt geworden durch hochwertige Hemden, sieht man die Zukunft der modischen Berufswelt in einer Art Mittelweg. «In Deutschland zeigt sich erstklassiger Business-Look für Damen und Herren in spannungsvollem Wechselspiel mit lässiger Casualwear», erklärt Van-Laack-Hauptgeschäftsführer Günter Bläser.

Auch habe die «New Econmy» das Bekleidungsverhalten verändert. Einige Angehörige junger Internet-Firmen zeigten ihren Erfolg durch Status und träten entsprechend auf. «Modern interpretierter Luxus erlebt in lässigen, aber teuren Trend-Outfits ein wesentliches Comeback», meint Bläser. Andererseits: In Amerika führen Investmentbanker und Anwälte gerade die Auflockerung des Kleidungsverhaltens auf ihre Kunden in der «New Economy» zurück. Diese seien zu Mandantengesprächen so informell erschienen, dass sich die Berater «overdressed» fühlten und langsam nachzogen. Doch während nun die konservativen Branchen den Anzug ablegen, scheinen die Internet-Millionäre ihn mit der Neuen Eleganz wieder zu entdecken.

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