Du, junge Frau
im Zwischenland,
Nomadin fast,
dem Heimlichen entflohn!
Ein Diwan ist dir Arbeitsplatz und Bett,
Und vor dem Fenster jagt die Katz den Vogel.
Du, Freundin, lieb, schon lange Zeit vertraut
und doch so plötzlich fremd,
weil mehr ich fühle als neutrale Freundlichkeit.
Denn du bist jung und ich bin alt.
Du, Fremde aus dem breiten Tal
Sibiriens, mit hellem Blick und braunem Haar,
mit Augen, die verwundert schaun:
“Was sagst Du da – ich habe nichts
gespürt!”
Ja, dieses unlösbare Rätsel Frau,
so alt und jung und immer wieder neu,
so wie am ersten Tag, als Eva Adam sah
und fragte sich: “Was will der nur, der Mann?
Denn ich bin jung und er ist alt!”
Du Künstlerin, die immer unzufrieden ist,
mit sich, mit ihrer Kunst, unsicher noch
und auch mit dieser Welt,
wo Leute leben, die Du kaum verstehst;
in der dein Freund sich nach Berührung sehnt,
wo er doch wissen müsste, was das heißt.
“Was dringt er ein in meine Sphäre,
die so zerbrechlich ist wie das Gehäus
im 'Ird’schen Paradies' von Meister Bosch?
Verletzbar bin ich, jung — und doch schon alt?”
Und auch ein
Rätsel ist der Mann,
will sich nicht fügen ins gewohnte Bild,
fragt nach, erforscht in sich und Dir:
“Was ist das: Liebe? Freundschaft? Glück?
Wo bleibt die Seele, wenn der Körper drängt
und wo Vernunft, wenn Worte nicht mehr klären?”
Unsicher, schwankend ist der Steg,
auf dem wir beide balancieren
am Rande und Beginn des Wegs,
der jung ist wie ein neuer Tag
— und doch auch alt, wenn sich der Abend neigt.
Wie übt man Glück? Wie lernt die Liebe sich?
Das Kind erforscht sie neugierig und ungeschickt,
das Mädchen träumt sie sich –
noch zwischen Scheu und Scham.
Die junge Frau nimmt sie ganz absolut und ewig,
als kostbaren Besitz, auf Dauer angelegt.
Erwachsen schwankt sie zwischen Frust und Spiel...
Bis Du begreifst: Das Leben ist Entwurf.
Am Haus der Liebe baust Du ganz allein,
indem Du alles nutzt: Neugier, Traum, Spiel und Lust.
Du blickst in dich und spürst und bist ganz jung.
So stehe neben
mir, du Frau –
fast Mädchen noch, das alt sich fühlt.
Steh dicht bei mir auf diesem Gipfelgrat
und schau hinab mit mir auf Stadt und See:
Wie schön, wie weit ist unser Blick ins Tal
und auch hinaus, bis an den Horizont,
wo Berg auf Berg im fernen Dunst verblassen.
Fühl meinen Arm, der dich vorm Schwindel schützt,
vorm Fall in diese weite Welt,
die alt und jung ist, wie am ersten Tag.
Michael C. Zepter: Kampenwand, Aquarell Herbst 2001
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