Begegnung in Amsterdam
Michael Cornelius Zepter — Seite 9 (Die Judenbraut, Forts.)


Über einen längeren Zeitraum, beeinflusst durch einen Interpretationsversuch von Valentiner (Rembrandt und seine Umgebung, 1905), glaubte man, eine Darstellung des Rembrandtsohnes Titus und seiner Braut Magdalena van Loo, die er 1667 geheiratet hatte, vor sich zu haben. So auch Wilhelm Hausenstein, den diese Idee zu gewagten psychologisierenden Interpretationen beflügelte.*
Noch Otto Benesch bietet in der Skira-Publikation von 1990 unter Verweis auf die orientalisierende Kleidung mehrere biblische Paare zur Auswahl an: Isaak und Rebecca, Jakob und Rachel, Tobias und Sarah. Von anderen Autoren wurden auch Ruth und Boas, Juda und Thamar, sogar Esther und Ahashver genannt.
Dabei hatte schon Christian Tümpel im Nederlands Historisch Jaarboek von 1969 mit Hinweis auf eine in einer amerikanischen Sammlung existierende Entwurfszeichnung Rembrandts das dargestellte Paar relativ überzeugend als „Isaak und Rebecca, beobachtet von König Abimelech“ gedeutet.***

Für Elsje scheint es wichtig zu sein, dass der große Maler Rembrandt nicht irgendeine Braut, sondern eine jüdische Braut gemalt hat. Offensichtlich konnten Juden damals ohne Probleme zum Gegenstand einer Darstellung werden. Mit diesem Bild kann man sich identifizieren. Wir sind die beiden da auf der Leinwand: Els die Braut, Micha der Bräutigam. Die zärtlich scheuen Gesten sind unsere eigenen.
Der Wissenschaftler hält derartige Zugriffe auf historische Bilder möglicherweise für unzulässig, zumindest für unangemessen. Das Paradigma muss respektiert, der Abstand gewahrt, die Rezeption vom Subjektiven gereinigt werden. Ich gestehe aber freimütig, dass mir Bilder, auch historische, ohne unmittelbare, persönliche Wahrnehmung und Aneignung mehr oder minder gleichgültig bleiben. Als Maler und Zeichner prüfe ich Bilder mit inter-essiertem Auge auf „Verwertbarkeit“, Alter und Entstehungsort spielen eine untergeordnete Rolle. In den Tagebuchnotizen von Beckmann und vielen anderen Künstlern der Moderne läßt sich Vergleichbares nachlesen.**** Das ist es doch, was sie so aufregend macht, die Bilder. Dass sie uns Antworten geben über den Abgrund der Zeit hinweg. Gerade eben erst ist das da entstanden, die Spuren der Hand könnten meine eigenen sein; die Farben, die Formen... welch ein Reichtum, welch unmittelbare Präsenz;
Die Geschichte — gerade erst findet sie statt!


Christian Tümpel führt in Berufung auf Panofsky für Kompositionen wie Die Judenbraut den Begriff der Herauslösung ein: „Um den psychologischen Gehalt einer Szene gegenüber den traditionellen Darstellungen zu intensivieren oder das Besondere, das das Verhältnis zweier Personen zueinander bestimmt, gesteigert zur Anschauung zu bringen, löste Rembrandt manchmal Figurengruppen oder Einzelfiguren aus ihrem szenischen Zusammenhang oder beschränkte die Zahl der Personen auf die Hauptfigur...“(a.a.O. S.161).
Der Kunstgriff der Herauslösung ist keineswegs eine Erfindung Rembrandts; Vergleichbares gibt es nach Tümpel schon bei Andachtsbildern seit dem Mittelalter und bei Historien im 16. und 17. Jahrhundert. Zusätzlich setzt Rembrandt das Licht ein, um einzelne Figuren oder Details hervorzuheben. Es verdeutlicht das Wesentliche einer Szene, indem es den Blick des Betrachters auf die beleuchteten Partien lenkt.


* Wilhelm Hausenstein. Rembrandt. Leipzig 1926.

** Christian Tümpel. Studien zur Ikonographie der Historien Rembrandts. Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 29 (1969). S. 162-67.

*** „Isaak blieb also in Gerar. Als sich die Männer des Ortes nach seiner Frau erkundigten, sagte er: Sie ist meine Schwester. Er fürchtete sich nämlich zu sagen: sie ist meine Frau. Er dachte: Die Männer des Ortes könnten mich sonst wegen Rebecca umbringen. Sie war nämlich schön. Nachdem er längere Zeit dort zugebracht hatte, schaute einmal Abimelech, der König der Philister, durch das Fenster und sah gerade, wie Isaak seine Frau liebkoste. Da rief Abimelech Isaak und sagte: Sie ist ja deine Frau. Wie konntest du behaupten, sie ist deine Schwester? Da antwortete ihm Isaak: Ich sagte mir: Ich möchte nicht ihretwegen sterben. Abimelech entgegnete: Was hast du uns da angetan? Beinahe hätte einer der Leute mit deiner Frau geschlafen; dann hättest du über uns Schuld gebracht. Abimelech ordnete für das ganze Volk an: Wer diesen Mann oder seine Frau anrührt, wird mit dem Tode bestraft.“ (Genesis, 26, 6-11).

.**** Das gilt übrigens meiner Erfahrung nach nicht allein für historische Bilder, sondern auch generell. Als ich vor zwanzig Jahren für einige Wochen im Senegal war, kam die Begegnung mit dem afrikanischen Künstler Ousmane Faye nur über mein Interesse an seinen Bildern zustande. Auf der Ebene der Bilder verstanden wir uns sofort.

 


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