Begegnung in Amsterdam
Michael Cornelius Zepter — Seite 11 (Macchia)

 

Macchia

Ernst van de Wetering hat sich ausführlich mit der Maltechnik des späten Rembrandt beschäftigt.* Nach seinen Forschungsergebnissen ist sie nicht allein Ausdruck individueller Entwicklung sondern entspricht — in Anlehnung an das Alterswerk Tizians und seiner Würdigung bei Vasari — zeitgenössischen Ideen über die „grobe und feine Manier“. Für die Methode, mit scheinbarer Achtlosigkeit in der Pinselführung, ja selbst unter Verwendung ungestümer Pinselstriche und vom Zufall bestimmtem Farbauftrag große Wirklichkeitswiedergabe zu erreichen, gibt es Parallelen zur nonchalant lässigen Haltung des Höflings. Beides hat Baldessare Castiglione mit dem Ausdruck sprezzatura (Lässigkeit) belegt.
Für derartige Maltechnik, die Vasari Pittura di macchia nennt, ist ein gewisser Abstand bei der Betrachtung notwendig.** Rembrandt selber — darauf weist van de Wetering hin — äußert sich in einem Brief an Constantijn Huygens zu diesem Problem. (Er fordert für eines seiner großen Gemälde genügenden Abstand: „Dat men daer wijt ken afstaan.“).

Unterschiede zwischen Nähe und Distanz! Alain Resnais, dessen Film ich schon in den fünfziger Jahren in Köln mit großer Erschütterung gesehen habe, (Vielleicht war er für mich überhaupt der Auslöser für eine erste umfassende Auseinandersetzung mit dem Holocaust), zeigt die „Strukturen“ der Vernichtungsmaschine im Detail: Spuren der Fingernägel an den Mauern der Gaskammern, die Berge der Haare und Zähne. Erst diese Nahsicht eröffnet die ganze Dimension des Schreckens. Vielleicht, weil wir hier, zusätzlich zur abstrakten Annäherung der Gedanken, auch körperliche Nähe erfahren.
Die Nahsicht auf Bilder, der Blick auf ihre Oberfläche ist eine moderne Form der Annäherung an die Kunst; im Duktus des Pinsels und in der Struktur der Farbmaterie spüren wir die Spuren der Hand und zugleich die opake Dichte der physischen Welt.

Die freie Primamalerei ohne Vorzeichnung ermöglichte es Tizian, die Darstellung und Komposition seiner Bilder während des Malprozesses abzuändern („pentimento“). Dem disegno als Planungs- und Kontrollinstrument tritt das colorito der tonigen Malerei aus dem Fleck entgegen, der festen Rezeptur der Zeichnung und der „feinen Manier“ in der Malerei bietet der freie Pinselduktus eine „abenteuerliche Entwicklung“. Auch im Werk Rembrandts, vor allem in seinem Spätwerk, sind solche freien Änderungen zu finden, wie man durch Röntgenuntersuchungen feststellen konnte. Alle diese wirklich erstaunlichen Erkenntnisse moderner ikonographischer und maltechnischer Forschungen haben die Frage nach dem Rätsel dieses Bildes nicht lösen können. Vor allem nicht die Frage, warum das Bild den Namen „Judenbraut“ erhielt.
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* Ernst van de Wetering. Rembrandts Malweise - Technik im Dienst der Illusion; in: Rembrandt, Der Meister und seine Werkstatt - Gemälde. Katalog Gemäldegalerie Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz. Berlin 1991. S. 12-39.

** Giorgio Vasari. Le vite de' più eccelenti pittori, scultori ed architetti... Firenze 1550/1568. Vasaris Lebensbeschreibungen waren 1604 von Carel Mander ins Niederländische übertragen worden. Als Rembrandt geboren wurde, war Tizian gerade einmal dreißig Jahre gestorben. Rembrandts Lehrer Jacob Isaacsz und Pieter Lastmann hatten sich im Übrigen beide lange in Italien aufgehalten und mit Sicherheit von dort kunsttheoretisches Gedankengut mit nach Holland gebracht.


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