Begegnung in Amsterdam
Michael Cornelius Zepter — Seite 13 (Nähe und Distanz)


Nähe und Distanz

Sehr früh am Morgen. Elsje bringt mich zum Bahnhof. Zwischen uns wächst unsichtbar eine Mauer des Schweigens. Schon ist der Zug eingefahren... noch schnell ein paar nichts-sagende Worte des Abschieds, die die Gedanken kaschieren! Ich kann nicht ausdrücken, was mich in diesem Augenblick bewegt. Elsje scheint das zu spüren. Sie sagt nichts, aber plötzlich umarmt sie mich, küsst mich heftig, mit erschreckender Leidenschaft. Atemlos reiße ich mich los, besteige das Abteil, verstaue mein Gepäck. Winken aus dem Fenster, bis der Zug die Bahnhofshalle verlässt. Noch lange sitze ich mit klopfendem Herzen und starre hinaus auf die immer schneller vorbei rasende holländische Landschaft.
Ich habe Elsje nie wieder gesehen. Wir schrieben uns noch ein paar Monate lang, doch weigerte sie sich beharrlich, ihre Adresse auf die Couverts zu schreiben. Statt dessen zeichnete sie immer ein kleines blaues Sternchen. Dann gab sie ihre Stellung im Jugendhotel „Het Behouden Huis“ auf und zog ins Prinseneiland:
„Es ist da wunderbar ruhig und schön. Es gibt sehr alte Giebelhäuser und um fünf Uhr, wenn es in der Stadt am beschäftigsten ist, ist es da so still wie in einem Dorf. Es ist ein guter Platz für Maler...“
Das war Ende August und mit diesem Sommer hatte ich auch meine große Liebe und spätere Frau kennen gelernt – dies Erlebnis schwemmte alles Vorhergehende hinweg. Wir verloren uns. Ich muss allerdings gestehen, dass das Geschenk dieser kurzen Liebe mich auch mit Beklommenheit erfüllt hatte. Der Abschiedskuss am Bahnhof hatte mich in seiner bedingungslosen Intensität erschreckt - ich wich zurück vor einer zu engen Bindung, wollte für meine künstlerische Entwicklung frei sein. Heute denke ich, aus dem Abstand der Jahre, dass es auch die Scheu vor der Welt des Judentums war, möglicherweise auch religiöse Bindungen, die damals noch stark und unemanzipiert waren. Parzival konnte die entscheidende Frage nicht stellen, war noch nicht reif für die Vereinigung. (Bei Wolfram wird zum Schluß nicht nur Parzival zum Gral berufen, sondern auch Feirefiß, sein „wie eine Elster“ schwarz-weiß gefleckter heidnischer Halbbruder. Auch das ist ja einmal deutsche Dichtung gewesen... welch erstaunliche Offenheit und Toleranz im staufischen Mittelalter!)

So endete unsere Begegnung, die für mich mehr als eine kurze Episode war, still und undramatisch. In ihrem letzten Brief an mich, den ich immer noch besitze, schreibt Elsje: „Micha, ich weiß ich träume zuviel; aber will man die Wirklichkeit gut sehen, muß man auch träumen können. Ohne schwarz gibt es doch kein Weiß. Das ist der Kreis des Lebens. Und ich denke, dass es so ist, weil ich manchmal Märchen für Kinder schreibe. Das Leben ist doch voll mit Märchen und es gibt so viele Ideen für eine Erzählung. Was im Augenblick, da es passiert, nur schön und romantisch scheint, ist später ein schönes Märchen. Gleich wie ein Photobuch gibt es so viele schöne Erinnerungen und man lächelt ein wenig weh, als man wieder daran denkt – und schreibt dann drei Stückchen Papier und hat das konserviert; und andere haben was zu lesen, aber was es für mich war, soll nie einer wissen.“

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